Peter Thomas
Bürgermeister Oedenkoven ging es in den letzten Wochen nicht so gut, denn eine Verfügung des Landrates Eich vom 28.12.1906 bereitete ihm arge Kopfschmerzen. Auch diverse Gespräche, die er mit den Gemeindevorstehern in Louisendorf, Schneppenbaum und Till-Moyland geführt hatte, brachten ihn nicht weiter. Sein Problem konnte an folgender Frage festgemacht werden: Wie kann ich in der Bürgermeisterei Till den Beginn oder das Ende einer Ortschaft definieren? Ist es das erste Haus, das an der Straße liegt? Und wenn dieses, wie es häufig der Fall war, weit weg von der Straße liegt, ist es dann das zweite oder dritte Haus? Wann und wo hört eine Ortschaft auf, denn alles geht ineinander über, es gibt keine natürlichen Abgrenzungen. Aber eine Verfügung des Klever Landrates, der Königlichen Regierung in Düsseldorf oder gar des Oberpräsidenten aus Koblenz musste ja irgendwie umgesetzt werden.
Eigentlich erkannte er die Notwendigkeit der Aufstellung dieser Schilder nicht – bisher haben alle Eingesessenen gewusst, wo sie sich gerade aufhielten. Niemand musste ihnen sagen, ob sie sich gerade in Louisendorf oder Schneppenbaum befanden und auf die Automobilisten, die ab und zu über die Provinzialstraße von Xanten nach Kleve (oder umgekehrt) fuhren, konnte man gerne verzichten.
Aber Verfügung ist Verfügung – und so berichtete unser Bürgermeister am 24.05.1907 dem Landrat Eich zu Kleve:
Bei der Bebauungsweise und den eigenartigen örtlichen Verhältnissen der hiesigen Gegend, bei welcher die Häuser vielfach nicht dicht an der Straße liegen und nicht ohne genaue Kenntnis der politischen Grenzen sich sagen läßt, wo die eine Ortschaft oder Gemeinde anfängt und die andere aufhört, erscheint die Anbringung von Ortstafeln im Sinne nebenbezogener Verfügung nicht so sehr einfach und zweckmäßig. Gleichwohl werden für den hiesigen Bezirk neue Ortstafeln angebracht werden, nachdem ich mich des Einverständnisses der Gemeinde-Vertretungen hiesiger Bürgermeisterei versichert habe. Und zwar sollen für die Gemeinde Schneppenbaum und Till-Moyland je 2 Tafeln an der Provinzialstraße Cleve—Calcar beim jedesmaligen Eintritt in den bzw. Ausgang aus dem Gemeindebezirk aufgestellt oder an Häusern angebracht werden. Die Gemeinde Louisendorf, für die die zweckmäßige Anbringung von Ortstafeln besonders schwierig ist, wird beim Eintritt in ihr Gebiet von der Calcar-Gocher Straße aus auf der Hauptstraße eine Ortstafel aufstellen, weil letztere wohl die einzige einigermaßen unmittelbar in den Ort führende durchgehende Straße ist.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dürften die Ortsschilder (schwarze Prägung auf weißem/grauen Hintergrund) etwa so ausgesehen haben, wobei der Text authentisch ist:
Wenn sich die Vorgänger von Bürgermeister Oedenkoven an bestehende Vorschriften gehalten hätten und Paul Oedenkoven das Amtsblatt der Regierung zu Kleve, Ausgabe 1816, welches ihm definitiv vorlag, gelesen hätte, würde er gewusst haben, dass Orts- und Richtungsschilder nichts Neues sein dürften, denn bereits im Juni 1816 musste die Königliche Regierung zu Kleve die Kommunen mahnen:
Da mit der polizeilichen Einrichtung der Komunal-Wege auch die den Kommunen obliegende Wiederherstellung der im Kriege beschädigten und die Anlegung neuer Wegweiser an den Punkten, wo sie nöthig sind, in Verbindung steht, wobey zunächst auf die von den Haupt-Straßen ableitenden Wege, sodann auf die übrigen den Reisenden irre leitenden Kreuzwege, das Augenmerk zu richten ist, so wird hiedurch den Herrn Kreis-Commissarien des hiesigen Regierungs-Departements, mit Bezugnahme auf die, wegen dieses Gegenstandes bereits erlassenen Gouvernements-Verfügungen, der Auftrag ertheilt, das Erforderliche einzuleiten und zugleich darauf zu halten, daß jedesmal der Name des Ortes, wohin der Arm des Wegweisers zeigt, auf demselben deutlich vermerkt ist, damit der Zweck, den Reisenden vor Irrwegen zu sichern, auch wirklich erreicht werde. Ferner ist darauf zu halten, daß der Name jedes Dorfes, zur Bequemlichkeit der Reisenden, bei jedem Eingange deutlich zu lesen sey.
Alles klar? - Für die Bürgermeister des Kreises Kleve anscheinend noch nicht, denn die Regierung in Kleve wies im Oktober 1820 mit einen königlichen Befehl noch einmal eindringlich auf ihren früheren Erlass hin:
Des Königs Majestät haben mittels Allerhöchster Kabinets-Ordre d. d. Töplitz den 25. August des Jahres zu befehlen geruht, daß da, wo Straßen durch Dörfer und Flecken oder bei diesen vorüberführen, der Name derselben, ferner der Name des Kreises und die Nro. des Landwehr-Regiments, zu welchen solche gehören, in großer Schrift angeheftet werden soll, daß es dagegen bei den Städten dieser Bezeichnung nicht bedarf.
… so fordern wir sämmtliche Orts-Behörden auf, diese Einrichtung der Allerhöchsten Bestimmung gemäß sofort zu vervollständigen. Die Kreis-Behörden haben auf die Befolgung zu halten.
Im Jahre 1907 wäre es das Einfachste und Beste für Bürgermeister Odenkoven gewesen, wenn er die Schilder an Häusern oder Scheunen hätte anbringen können, denn das würde die Gemeindehaushalte am wenigsten finanziell belasten. Aber da keine entsprechenden Gebäude zur Verfügung standen, musste er noch tiefer in die Kassen greifen und dem Schmied Kröll aus Hasselt den Auftrag erteilen für fünf Ortstafeln 4 m lange und 8 cm breite T-Eisenstangen zum Preise von je 12 Mark anzufertigen, damit diese an den Ortseingängen aufgestellt werden konnten.
Sehr schnell stellte man fest, dass Eisenstangen – auch wenn sie 8 cm breit sind – nicht sehr stabil sind. Sie können relativ leicht verbogen oder auch abgeknickt werden. Vorteilhafter waren Pfosten, die infolgedessen vom Bürgermeister geordert wurden. Auch diese waren 3,5 bis 4 m lang, dafür aber rund mit einem Durchmesser von 70 mm. Diese wurden an Ort und Stelle einbetoniert und konnten nicht so leicht verbogen oder abgeknickt werden.
Ein Problem, an das am Anfang niemand gedacht hatte, war, dass diese hohlen Rohre am oberen Ende nicht verschlossen waren und so Regen, Blätter und Staub in diese fallen konnten und sie zusetzten. Das war äußerst förderlich für die Rostbildung – aber nicht für die Haltbarkeit. Erst später kamen die Hersteller auf die Idee, die Pfosten zu verschließen. Das ging damals nur durch Aufschweißen einer Kappe – und kostete zusätzlich Geld.
Sie waren durch die Vielzahl an Informationen ziemlich unübersichtlich, aber bei den damaligen geringen Geschwindigkeiten wohl verständlich.
Plötzlich schien es nur noch um Schilder zu gehen, denn es blieb nicht allein bei den Ortstafeln. Die Automobilisten setzten auch noch durch, dass in allen Ortschaften Richtungstafeln montiert werden mussten und da die Regulierungswut einmal ausgebrochen war, sollten auch alle Gefahrenstellen und die Bahnübergänge mit Warntafeln bestückt werden – und das, obwohl im Amt seit Generationen kaum oder keine schweren Unfälle verzeichnet werden konnten. Das erforderte einen hohen Arbeits- und Kostenaufwand, wie aus der beigefügten Verordnung aus dem Jahre 1925 zu ersehen ist.
Wer soll das alles bezahlen? Die Gemeinden waren doch vollkommen überschuldet!
Auch war die Entscheidung zu treffen ob man Tafeln aus Emaille oder gar Schilder aus Stahlblech mit Lackierung kaufen sollte, aber niemand hatte irgendwelche Informationen über die Vor- und Nachteile sowie der Haltbarkeit dieser Tafeln. Wenn es sich – wie früher - um Holztafeln gehandelt hätte, wäre der folgende Hinweis der Königlichen Regierung zu Kleve vom Dezember 1816 sehr nützlich gewesen:
Bei der geringen Haltbarkeit, welche das gewöhnliche Anstreichen der Wegweiser, Brücken-Geländer etc. hat, wird folgender sehr dauerhafter Holz-Anstrich empfohlen: Man nehme drei Theile von der Luft zerfallenen Kalk, zwei Theile Holz-Asche, einen Theil feinen Sand, gut zusammen gemengt, durch ein Sieb gelassen, und alsdann mit so viel Lein-Oehl begossen, daß die Masse zum Anstrich mit dem Pinsel geeignet ist. Der Anstrich muß das erstemal dünn, zum zweitemal aber so dick, als es sich thun läßt, aufgetragen werden. Der Aufwand an Oehl, ist minder beträchtlich, als bei der gewöhnlichen Oehl-Farbe; zu empfehlen ist dabei, das Oehl zu kochen und die Farbe wie gewöhnliche Mahlerfarbe zu präpariren.
Ein anderer Anstrich kann als zweckmäßig ebenfalls empfohlen werden. Man vermischt Steinkohlen, Theer, mit fein gestoßenen Kohlen von Erlen-Holz, und etwas Ocker, Dieser Anstrich wird zweimal aufgetragen und jedesmal mit feinem Sande überstreut.
Bevor nun alle Maler und Anstreicher rufen: „So geht das nicht!“, folgt hier eine Ergänzung der Regierung vom Februar 1817: ...daß der vorgeschlagene Anstrich nur dann als zweckmäßig zu empfehlen ist, wenn zuvor das anzustreichende Holz völlig ausgetroknet, und hierauf durch einen Oehl-Anstrich getränkt ist, worauf sodann der bemerkte Anstrich aufgetragen wird.
Aber kommen wir wieder zurück zum Jahr 1907. Eine Rechnung belegt, dass pro Ortsschild in einer Größe von nur 60x70 cm Kosten in Höhe von 20,60 Mk angefallen sind. Das erscheint sehr teuer zu sein, denn der Durchschnittsverdienst der Arbeiter und Angestellten betrug zur damaligen Zeit nur rd. 80 Mk brutto pro Monat. Heute erhält man größere Ortstafeln, die nach den Vorschriften der StVO hergestellt wurden, ab 100 – 150 Euro. Das Brutto-Durchschnittseinkommen 2017 betrug in Deutschland für Vollbeschäftigte monatlich 3.703 €.
Mit der Zunahme des Kraftverkehrs wurde es aber im Laufe der Zeit unumgänglich, auch im Amt Till Wegweiser für die Automobilisten aufzustellen. Bürgermeister Oedenkoven bestellte daher am 15.12.1927 bei der Firma Böker und Krüger in Essen das entsprechende Material für 7 Wegweiser. Die Essener Firma erhielt dazu einige Skizzen, aus denen die benötigten Informationen hervorgingen.
Die Bestellung war auch den neuen Bestimmungen zur Verkehrssicherheit geschuldet, die in diesem Jahr in Kraft traten. Die Ortstafeln und Richtungsschilder bekamen damals die uns heute noch bekannte Aufmachung (schwarze Schrift und gelbe Hintergrundfarbe).
Bis zu diesem Zeitpunkt wurden bereits internationale und nationale Verkehrszeichen entwickelt, die z.T. auch heute noch – 90 Jahre später – bekannt sind. Hier habe ich eine Auswahl der damals gebräuchlichsten nationalen und internationalen Schilder eingefügt.
Neue Sachen müssen ausprobiert und getestet werden. Das war auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht anders als heute. So sah sich auch Bürgermeister Oedenkoven im Jahre 1928 gezwungen, den örtlichen Polizeibeamten eindringliche Anweisungen zu erteilen, denn er hatte folgende Bekanntmachung im gesamten Amtsbbezirk anschlagen lassen:
Es ist in letzter Zeit wiederholt vorgekommen, daß die neu aufgestellten Verkehrsschilder insbesondere von Schulpflichtigen und zwar meist auf dem Wege ab und zur Schule mit Steinen und anderen harten Gegenständen beworfen und dadurch erheblich beschädigt werden.
Die hiesigen Polizei-Beamten haben Anweisung, jeden bekannt werdenden Fall unnachsichtlich anzuzeigen. Bei Minderjährigen haften die Eltern oder gesetzlichen Vertreter für den von ihren Kindern angerichteten Schaden. Dieselben werden daher in ihrem eigenen Interesse ersucht, die Kinder entsprechend zu verwarnen.
Etwaige Vorfälle waren von den Polizeibeamten umgehend zur Anzeige zu bringen.
Die Anweisung an die Polizeibeamten schien dem Bürgermeister nicht ausreichend zu sein, denn am gleichen Tag erhielten die Schulleiter je einen Abdruck der Bekanntmachung zur Kenntnisnahme und mit dem Ersuchen, die Kinder in der Schule eingehend zu belehren bzw. zu warnen.
Quelle:
Gemeindearchiv Bedburg-Hau: BT 615, BT 627
Literatur:
https://de.wikipedia.org/wiki/Durchschnittsentgelt, 15.10.2017
https://www.lecturio.de/magazin/durchschnittsgehalt-deutschland/, 29.06.2018
Amtsblätter der Königlichen Regierung zu Cleve, 1816, 1817, 1821