Die Weide

Peter Thomas

 

 

Wenn Sie als Niederrheiner solch ein Bild sehen, wissen Sie sofort Bescheid. Bei den abgebildeten Bäumen kann es sich nur um Kopf­weiden handeln, die wie auf einer Perlenschnur gezogen oft in einer Reihe nebeneinander die Straße säumen oder auch einfach querfeldein als Einzelbäume, Gruppen oder Reihen wachsen. Wenn sie schön in einer Reihe stehen, dienten sie oft zu Beginn ihrer Existenz den Bauern als Pfähle für einen Weidezaun. Aufgrund ihrer hohen Vitalität schlugen die Pfosten wieder aus und es entstanden neue Bäume.

Bei diesem Bild wird es schon etwas schwieriger. Die einzelnen Stängel wachsen einzeln aus dem feuchten Boden heraus oder bilden einen Busch. Sie legen pro Jahr bis zu drei Meter zu. Falls es windig ist, wiegen sich die Ruten und es raschelt überall. Man meint dann, sich in einem der Bambuswälder Asiens zu befinden.

Früher wären solche Gewächse Anpflanzungen von fleißigen Hand­werkern gewesen. Dort wo man sie noch heute sieht, sind sie meist verwildert. Es handelt sich hierbei um die sogenannte Korbweide (salis viminalis). Die sich übrigens in die oben gezeigten Kopfweiden ver­wandeln lässt. Aber wie bekommt man einen Kopf auf die Weide und ist das überhaupt sinnvoll?

Um eine natürlich gewachsene Weide zur Kopfweide zu erziehen, wird sie in ihrer Jugend etwa einen bis drei Meter über dem Boden „geköpft“, also abgeschnitten. In den folgenden Jahren werden die hier erscheinenden Ruten stets auf kurze, bis 10 cm lange Stummel gestutzt. Dadurch treibt der Baum noch stärker aus, sodass schließlich die markante Form mit kurzem, dickem Stamm und massivem Kopf erreicht wird.

Etwa fünf Jahre braucht solch ein Steckholz, um zu einer kleinen Kopfweide mit etwa 15 cm Stammumfang zu wachsen. Da die Kopf­weide 90 bis 120 Jahre alt werden kann, hat sie danach noch genügend Zeit sich zu einem stämmigen Baum mit respektablem Kopf zu entwickeln. Falls die Ruten nicht jährlich geerntet wurden, mussten die Bäume trotzdem regelmäßig, spätestens alle sieben Jahre, gestutzt werden, da ansonsten die immer dicker werdenden Zweige und Äste durch ihr Gewicht den Baumkopf gesprengt hätten. Durch ihre niedrige Höhe spendete die Weide dem Nutzvieh optimal Schatten. Mit den abgeschnittenen Zweigen heizten die Bauern ihre Wohnungen und Häuser.

Durch das häufige Stutzen der Baumköpfe und der Seitentriebe zogen sich die Bäume Wunden zu, die nicht mehr verheilten, sondern mit den Jahren Hohlräume im Stamm bildeten, die Tieren Zuflucht boten, z.B. Vögeln, Käfern und auch Schlangen. Auch konnten sich auf ihrem Kopf andere Pflanzen ansiedeln (Mispeln, Pilze etc.), und mit ihren Blüten deckte sie im Frühling als eine der ersten blühenden Pflanzen des Jahres den Tisch für die Bienen. Insgesamt rechnet man mit bis zu 1000 Tieren – meistens Insekten – pro Baum.

Aber das alles sind nur Nebeneffekte, denn der Mensch hatte den Baum nicht für die Tiere gestaltet, sondern aus reinem Eigennutz. Er hatte schon vor tausenden von Jahren die Erfahrung gemacht, dass mit den geernteten Stängeln – nach einer entsprechenden Behandlung – wunderbare, in der Landwirtschaft und im Haushalt immer wieder benötige Utensilien hergestellt werden konnten. Die neuen Triebe sowie auch das Stammholz wurden gern und viel gebraucht, so als Flechtwerk, Brennmaterial, Futter für Weidetiere, Werkzeugstiele und Holzschuhe.

Bei uns am Niederrhein begann der Verkauf der Weidenruten, falls man nicht eigene Anbaumöglichkeiten hatte, nach dem jeweils zugrundeliegenden Forstplan des Königlichen Forstamtes ab September/Oktober eines jeden Jahres durch den jeweiligen Förster. Zu festgelegten Terminen wurden diese – zusammen mit anderen Holzsorten – öffentlich und meistbietend versteigert. Dabei konnte sich das Holz noch auf dem Stamm befinden oder auch schon geschnitten sein. Die Ernte musste aber vor dem Frühjahrsaustrieb beendet sein.

Danach wurden die Ruten, je nach späterer Nutzung weiterbearbeitet: ungeschält für gröbere Arbeiten – geschält für feinere Arbeiten. Dabei musste immer darauf geachtet werden, dass die Ruten biegsam blieben, da sonst eine Verarbeitung nicht mehr möglich war.

Die Nutzung war sehr umfangreich. Die gröberen Erzeugnisse wurden überwiegend in der Landwirtschaft benötigt: Transportkörbe für Gras, Obst, Kartoffeln, Gemüse und Flaschen gehörten dazu. Feine Haushaltskörbe, Einkaufskörbe und Wäschetruhen wurden aus geschälten Ruten geflochten, außerdem Möbel, Kinder- und Puppenwagen. Gemäß der aufgefundenen Lektüre soll die Arbeit auch nicht sehr anstrengend und kompliziert gewesen sein.

Die Korbmacherei war im Rur-Wurm-Gebiet (heutiger Kreis Heinsberg) sehr ausgeprägt, besonders um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Zentrum war der Ortsteil Hilfarth der Stadt Hückelhoven. Dort gab es eine Korbmacher-Dynastie, die im Jahre 1955 noch 200 Korbmacher bei 1800 Einwohnern zählte. Sie wurden nur von der Anzahl der Bauern übertrumpft.

Die Korbflechterei war im 19. Jahrhundert als Nebenerwerb oder Blindenarbeit weit verbreitet. Auch das Amt Till wurde am 6.11.1885 von der Königlichen Bezirksregierung Düsseldorf angeregt, eine Korbweidenzucht in ihrem Bezirk anzulegen. Es wurde darauf hingewiesen, dass derartige Kulturen im Kreis Geilenkirchen durchschnittlich 100 Mark netto pro Morgen erzielen und zwar nicht nur auf guten Böden, sondern auch auf moorigen, sauren Wiesen und sogar auf höher gelegenem, sandigem Ackerland. Da die Einwohner des Amtes Till als chronisch arm bezeichnet werden mussten, hätte dieses neue Produkt eine gute zusätzliche Einnahmequelle, insbesondere für die Tagelöhnerfamilien, werden können – vor allem, da die Züchtung dieser Pflanze mehr als einfach war. Schon 1855 schrieb ein Weidenzüchter: "Bei dem großen Verbrauche aller Flechtarbeiten ist die Nachfrage nach dem rohen Material sehr gesteigert; lohnender Ertrag, schneller Wuchs und leichte Vermehrung empfehlen überall, wo sich passender Boden befindet, den Anbau der Korbweide."

Er gab dann noch einige Hinweise zu den Bodenverhältnissen und der dringend benötigten Feuchtigkeit. Abgekürzt lautete der Tenor jedoch: Man schneide eine Rute in zwei bis drei Teile, stecke diese Stücke in den feuchten Boden und warte ab. In der Regel treibt der Steckling im Frühjahr stark aus, und die erste Ernte kann bereits nach dem zweiten Jahr erfolgen. Die Pflanzungen können bis zu 40 Jahre alt werden.

Die Amtsvertretung Till war jedoch der Meinung, dass sich die Korbweidenzucht nach Lage der landwirtschaftlichen Verhältnisse für die Bürgermeisterei Till gar nicht eignen würde. Warum das so sein sollte, wurde jedoch nicht protokolliert. Wie die Korbweiden im Bereich Till, Schneppenbaum, Hau und darüber hinaus genutzt werden konnten, war ja bestens bekannt und ist an der Vielzahl der heute noch stehenden Bäume abzusehen. Aber mit dieser Entscheidung war der Vorschlag der Regierung gestorben.

Die Nutzung war sehr umfangreich. Die gröberen Erzeugnisse wurden überwiegend in der Landwirtschaft benötigt: Transportkörbe für Gras, Obst, Kartoffeln, Gemüse und Flaschen gehörten dazu. Feine Haus­haltskörbe, Einkaufskörbe und Wäschetruhen wurden aus geschälten Ruten geflochten, außerdem Möbel, Kinder- und Puppenwagen. Gemäß der aufgefundenen Lektüre soll die Arbeit auch nicht sehr anstrengend und kompliziert gewesen sein.

Die Korbmacherei war im Rur-Wurm-Gebiet (heutiger Kreis Heinsberg) sehr ausgeprägt, besonders um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Zentrum war der Ortsteil Hilfarth der Stadt Hückelhoven. Dort gab es eine Korbmacher-Dynastie, die im Jahre 1955 noch 200 Korbmacher bei 1800 Einwohnern zählte. Sie wurden nur von der Anzahl der Bauern übertrumpft.

Die Korbflechterei war im 19. Jahrhundert als Nebenerwerb oder Blindenarbeit weit verbreitet. Auch das Amt Till wurde am 6.11.1885 von der Königlichen Bezirksregierung Düsseldorf angeregt, eine Korbweidenzucht in ihrem Bezirk anzulegen. Es wurde darauf hin­gewiesen, dass derartige Kulturen im Kreis Geilenkirchen durchschnittlich 100 Mark netto pro Morgen erzielen und zwar nicht nur auf guten Böden, sondern auch auf moorigen, sauren Wiesen und sogar auf höher gelegenem, sandigem Ackerland. Da die Einwohner des Amtes Till als chronisch arm bezeichnet werden mussten, hätte dieses neue Produkt eine gute zusätzliche Einnahmequelle, ins­beson­dere für die Tagelöhnerfamilien, werden können – vor allem, da die Züchtung dieser Pflanze mehr als einfach war. Schon 1855 schrieb ein Weidenzüchter: Bei dem großen Verbrauche aller Flechtarbeiten ist die Nachfrage nach dem rohen Material sehr gesteigert; lohnender Ertrag, schneller Wuchs und leichte Vermehrung empfehlen überall, wo sich passender Boden befindet, den Anbau der Korbweide.

Er gab dann noch einige Hinweise zu den Bodenverhältnissen und der dringend benötigten Feuchtigkeit. Abgekürzt lautete der Tenor jedoch: Man schneide eine Rute in zwei bis drei Teile, stecke diese Stücke in den feuchten Boden und warte ab. In der Regel treibt der Steckling im Frühjahr stark aus, und die erste Ernte kann bereits nach dem zweiten Jahr erfolgen. Die Pflanzungen können bis zu 40 Jahre alt werden.

Die Amtsvertretung Till war jedoch der Meinung, dass sich die Korbweidenzucht nach Lage der landwirtschaftlichen Verhältnisse für die Bürgermeisterei Till gar nicht eignen würde. Warum das so sein sollte, wurde jedoch nicht protokolliert. Wie die Korb­weiden im Bereich Till, Schneppenbaum, Hau und darüber hinaus genutzt werden konnten, war ja bestens bekannt und ist an der Vielzahl der heute noch stehenden Bäume abzusehen. Aber mit dieser Entscheidung war der Vorschlag der Regierung gestorben.

Wie kamen die angefertigten Produkte zu ihren Abnehmern? Viele Vertriebswege gab es damals nicht. Die folgenden waren die gebräuch­lichsten: Rohrgeflochtene Körbe waren ein ständig benötigter Ge­brauchs­gegenstand in der Landwirtschaft, im Handwerk und in den Haushalten. Soweit nicht die ländliche Bevölkerung ihre Körbe selbst herstellte, bezog sie diese von hausierenden Korbmachern oder von deren beauftragten Verkäufern. In diesem Tätigkeitsfeld waren in Mitteleuropa viele Sinti und Roma tätig. Ein Dorf nach dem anderen wurde angefahren, bis dort die Nachfrage erschöpft war.

Daneben traten und treten auch heute noch viele Korbflechter auf Märkten auf, um sich und ihr Handwerk bekannt zu machen und ihre Produkte zu verkaufen.

Nähere Informationen zum heutigen Stand der Korb- und Kopfweiden.

Wer sich für das Handwerk des Korbmachers interessiert, kann sich beim Verein Flechtwerk informieren. Und in der oben genannten Stadt Hückelhoven gibt es das Rurtal-Korbmacher-Museum.

Sollten Sie einmal Ihren Urlaub auf der Frühlingsinsel Madeira ver­bringen, sollten Sie nicht versäumen, einen Abstecher nach Camacha zu machen, denn dort befindet sich auf einer Höhe von rd. 700 m das Zentrum der Korbflechterei, verbunden mit dem größten Korbwaren­markt der Insel. Vorhanden ist auch eine Schauwerkstatt, wo Sie den Handwerkern bei der Arbeit zuschauen und auch die Korbwaren erwerben können.



Quellen und Literatur
Gemeindearchiv Bedburg-Hau, BT P03
Kreis-Blatt für den Kreis Geldern, 17.1.1855, URL: https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/4071389

Die Kopfweide, URL:https://www.gartenflora.de/gartenwissen/ziergarten/baeume-straeucher-hecken/kopfweide (1.2.2020)
Lebensraum Kopfbaum, URL: https://www.nz-kleve.de/index.php?id=325 (1.2.2020)
Korb-Weide, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Korb-Weide (2.2.2020)
Korbmacher, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Korbmacher (2.2.2020)


Bildnachweis
Bild 1: https://pixabay.com/de/photos/wanderweg-kopfweiden-frühling-329961 (5.3..2020)
Bild 2 und 6: Peter Thomas, Bedburg-Hau
Bild 3: https://pixabay.com/de/photos/kopfweide-baum-trocken-natur-3819513 (1.2.2020)
Bild 4: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Korbmacher_1880.jpg (6.02.2020)
Bild 5: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube_(1883)#/media/Datei:Die_Gartenlaube_(1883)_b_409.jpg (6.02.2020)